AUF EINEN GIN TONIC MIT...SABINE WILLMANN, ABSOLVENTIN REGIE/DOKUMENTARFILM (1999)

Du hast einen Abschluss als Diplom-Verwaltungswirtin. Wie kam es dazu, dass du dann die Richtung Film eingeschlagen hast?

Das war eine Kettenreaktion. Ich habe ja in Freiburg mein Abitur gemacht und habe seinerzeit kurz vor dem mündlichen Abi Ferien auf Sizilien gemacht. Dort habe ich einen Frankfurter kennengerlernt und wir haben uns sofort verliebt (lacht). Wir wollten unbedingt zusammenziehen und zwar in der Mitte und das war dann Stuttgart.

Als leidenschaftliche Filmguckerin hatte ich schon immer ein großes Faible für Film, aber von der Filmakademie war damals noch weit und breit nichts zu sehen, weil die zu dem Zeitpunkt noch gar nicht gegründet war. Also ging ich an die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Ludwigsburg und die lag neben der PH. Und dort bin ich über den Filmclub der PH mit praktischer Filmarbeit in Berührung gekommen. Da gab es junge Kunststudenten, die in einem Filmclub kleine Trickfilme gemacht haben und das Kommunale Kino in Ludwigburg betrieben. Ich bin zu der Gruppe und habe gesagt: „Ich muss für mein Studium eine Seminararbeit im Bereich Kultur schreiben. Kann ich über euren Filmclub und das Kommunale Kino zum Thema „Andere Filme anders zeigen“ schreiben?“ So hab ich mich dann erst einmal theoretisch mit Film, Filmrezeption und Filmemachen auseinander gesetzt und gleichzeitig praktisch beim Trickfilmdrehen.

Dein Interesse war damit also geweckt. Und dann hast du dich an der Filmakademie beworben?

Ich hatte schon angefangen mich zu bewerben, in Berlin an der DFFB und in München an der HFF. Und war sozusagen innerlich schon auf dem Sprung, in eine der Städte abzuwandern. Dann hörte ich davon, dass in Ludwigsburg eine Filmakademie gegründet werden soll und dachte, dass mir das irgendwie gut gefällt hier. Dann habe ich das abgewartet und mich an der Stuttgarter Uni eingeschrieben für Kunstgeschichte, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften und Politikwissenschaften. Dort habe ich alles mitgenommen, was interessant war und parallel dazu meine Bewerbung für die Filmakademie fertig gemacht. Für das erste Jahr, 1991. Leider hat es nicht auf Anhieb geklappt. Damals hat man noch persönliche Begründungen für die Ablehnungen bekommen. Da kam ich hin und Albrecht Ade hat gesagt: „Frau Willmann, Sie haben ja eine schöne Bewerbung, aber Ihnen fehlt die Praxis. Sie haben ja noch gar nichts gemacht im filmischen Bereich. Kommen Sie in einem Jahr wieder, wenn Sie ein paar Praktika gemacht haben.“ Dann hab ich erst einmal sieben Monate bei einem Film von Edzard Onneken mitgearbeitet, erst als Produktionsfahrerin und später als Aufnahmeleitung und drei Monate in Budapest bei einer ungarischen Produktion, bei der teamhalber auch auf Englisch und Französisch kommuniziert wurde. Und hab mich direkt dann wieder beworben mit einem kleinen Film. Und dann hab ich den Studienplatz bekommen.

Übrigens habe ich beim Studium meinen Mann Oliver Heise kennen gelernt, der in der Abteilung Filmmusik studiert hat. Bis heute sind wir in der Region geblieben und machen auch immer wieder Projekte zusammen.

Heute gibst du viele Filmkurse, vor allem auch für Kinder und Jugendliche. Wie kamst du dazu?

Durch meine Mitarbeit im Kommunalen Kino habe ich dort auch das Kinderkino organisiert und immer auch mal Filme mit den Kids gedreht. Das ist dann vor allem außerhalb der Kommunalen Kinoarbeit immer mehr geworden und ich mache das jetzt seit 25 Jahren. Mich hat das gereizt, als ich gemerkt habe, dass die Kinder unheimlich viel Film konsumieren, aber inhaltlich so alleine gelassen werden. Das hat mich immer mehr angestachelt.

Ich habe also kaum eine Anfrage abgesagt und die Kurse gemacht, weil die Kinder und Jugendlichen einen echten Bedarf haben, sich über Inhalte auseinanderzusetzen. Zu den Trickfilmen kamen dann szenische Formate dazu, also wir haben kleine Krimis gedreht und sogar Dokumentarfilme. Ich bin einfach der festen Überzeugung, dass diese Arbeit sich ideell lohnt. Für die Kids, für mich, für die Gesellschaft. 2017 schreibe ich an einem Buch mit, das den Titel trägt: DOKUMENTARFILME MACHEN – EINE ANLEITUNG FÜR SCHÜLER UND LEHRER.

Parallel zu den Filmkursen, die du gibst, arbeitest du auch an eigenen Filmprojekten, wie zuletzt dem Film DER APFELMANN. Was hat es mit dem Projekt auf sich?

In dem Film geht es um die späte Verarbeitung der Kindheit eines Obstbauern im Dritten Reich. Er ist wenige Jahre vor dieser Diktatur geboren, war sogar noch ein Jahr in Holland stationiert. Er hat sozusagen die Anbahnung dieser Machtergreifung und die ganze Verseuchung der Gedanken mitbekommen und das hat mich einfach interessiert. Er steht für eine Generation. Ich habe den Mann vier Jahre lang begleitet und so geht es neben dem Umgang mit der Erinnerung letztlich auch um das selbstbestimmte Altwerden in den eigenen vier Wänden. Das war ein absolutes Herzensprojekt und hat mich auch selbst sehr weitergebracht. Ein anderes schlummert aber noch in der Schublade. Das Projekt heißt SANKT URSULA. Ich war in Freiburg an einem Mädchengymnasium und seit fünfzehn Jahren begleite ich zwei meiner Mitschülerinnen von damals. Es geht auch ein bisschen darum, ganz unwissenschaftlich zu schauen, was so eine nicht-koedukative Erziehung mit einem macht, wie ist der Blick auf die Welt, auf das andere Geschlecht. Aber schon mit einem Augenzwinkern. Im Großen geht es darum, wie die beiden, und auch ich, als Lebenskünstlerinnen den Sinn des Daseins ergründen. Inzwischen wird es immer seltener, dass ich drehe, aber ich habe jetzt natürlich unendlich viel Material, das alles in Form gebracht werden muss.

Du bist auch filmpolitisch aktiv bei der AG DOK Südwest. Wofür setzt ihr euch ein?

Heute ist es wirklich so, dass es nicht nur mehr Filmschulen gibt, sondern auch noch viele Filmstudiengänge an anderen Ausbildungsinstituten. Der Markt ist überschwemmt von sehr, sehr guten Leuten, die Filme machen wollen. Allerdings schafft es aber auch eine immer größere Fülle an Mittelmäßigem, sich durchzusetzen. Die Situation, dass zuviele Leute im Bereich Film und Medien arbeiten wollen, begünstigt, dass diese teilweise für einen Hungerlohn arbeiten müssen. Gegen das Lohndumping u.a. kämpfe ich gemeinsam seit fünf Jahren mit meiner Kollegin Sarah Moll bei der AG DOK in Baden-Württemberg. Es geht wirklich darum, eine Lanze zu brechen für höhere Budgets für den Dokumentarfilm, für bessere Platzierung in den Programmen und überhaupt um mehr Sendeplätze für den Dokumentarfilm. Wenn sich in der Hinsicht etwas verbessert, wird es vielleicht auch wieder einfacher, Dokumentarfilme zu machen.

Woran arbeitest du ganz konkret im Moment?

Das große Luther-Reformationsprojekt will gemacht werden: Eine Konzert-Lesung-Film-Veranstaltung mit dem Hymnus-Chor Stuttgart, die beim Evangelischen Kirchentag Berlin/Wittenberg angenommen wurde und dort und an anderen Orten aufgeführt wird.

Neben der Schauspielerin inszeniere ich auch Teile der Chorjungen und stelle die filmischen Inhalte her, übrigens mit Notker Mahr an der Kamera, auch ein Filmakademie-Abgänger. Und ab dem Frühjahr heißt es für mich wieder, und das inzwischen seit sechs Jahren, intensive Mitarbeit beim Filmfestival NaturVision, Deutschlands größtes und ältestes Filmfestival zu Natur, Tier, Umwelt und Nachhaltigkeit. Dort verantworte ich das komplette Schulfilmprogramm im Vorfeld und während der Festivaltage im Juli. Im Vorfeld bedeutet, dass ich mit unseren Filmen von März bis Juni in viele Städte reise, meist mit den Filmemachern im Schlepptau. Im Juni mache ich zudem den Jugendmedienworkshop des Festivals. Der dabei entstehende Film wird im Hauptprogramm im Juli laufen, außerdem betreue ich die Kinderjury. Und ich bin dieses Jahr wieder, wie schon 2012, in der Auswahljury fürs Gesamtprogramm. Das wird eine spannende Woche im April.

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DAS INTERVIEW FÜHRTE: Elena Preine