Oliver Kienle, Absolvent Regie / Szenischer Film

Wenn schon scheitern, dann wenigstens mit Herzblut.“

Oliver Kienle tut sich nicht immer leicht mit der deutschen Filmbranche, mit ihren Klageliedern und damit, wie gestellt und festgefahren sie ist. Mit seinen Filmen will er sich freischwimmen. Er lotet darin gerne Grenzen aus – diejenigen seiner Protagonisten, aber auch die Grenzen dessen, was im deutschen Film machbar ist.

In Oliver Kienles neuem Film DIE VIERHÄNDIGE spielt Gewalt eine zentrale Rolle. Doch darum geht es nur bedingt: „Wenn man tief reingeht, ist das Leitthema meiner Filme immer die Schuld.“ "Seine Themen" umzusetzen, lernte Oliver unter anderem aus einer schlechten Erfahrung: Noch vor dem Studium an der Filmakademie dreht er erste Filme – mit der eigenen Digitalkamera und guten Freunden an Bord. Nach vielen Kurzfilmen auch zwei Langfilme. Der erste kommt gut an, nur einige Leute aus dem „Kunstmilieu“ kritisieren ihn. Also will Oliver mit seinem zweiten Film auch diese beeindrucken und dreht ihn mit der vermeintlichen Erwartungshaltung seines Publikums im Hinterkopf – und ist am Ende unzufrieden, obwohl die Künstler seinen Film feiern. „Das war nicht ich“, muss er sich eingestehen, „alle anderen fanden den Film blöd. Das war eine gute Schule.“ Als er den Schock verdaut hatte, macht Oliver sich an ein Projekt, das seine Zukunft ganz erheblich beeinflussen sollte: seinen Bewerbungsfilm für die Filmakademie. 2004 beginnt Oliver sein Studium der Szenischen Regie. Und zieht vor allem aus der Zusammenarbeit mit Dozenten und Kommilitonen wertvolle Schlüsse für sein späteres Schaffen.

Seine Begeisterung für Geschichten in allen Kanälen zeigt sich früh: Mit selbst gezeichneten Comics ("ziemlich brutal, aber witzig") punktet Oliver bei seinen Mitschülern, allein im Alter von 17 bis 19 schreibt er neun Romane, und auch als Komponist beginnt er als Jugendlicher zu arbeiten. Die Anschaffung der ersten eigenen Kamera festigt seinen Traum, zum Film zu gehen. Nach einem ersten Praktikum dann die Ernüchterung: "Das waren lauter Arschlöcher am Set", sagt Oliver, "die Idee des Quereinstiegs war damit gestorben."

Weil der Erzähldrang größer ist, kann Oliver es nicht lassen und schreibt, filmt, kritzelt weiter. Und landet über Umwege an der Filmakademie in Ludwigsburg.

Weil er gefühlt schon seit Ewigkeiten Filme macht, als er das Studium antritt, muss Oliver im Realitätscheck schnell ein paar Gänge runter schalten. „Ich dachte, ich hätte schon alles kapiert. Dann kam ich an die Aka und merkte: 'Hier sind lauter coole Typen, und ich bin der Prolet aus einem Vorort von Würzburg'.“ Die Bilderbuchkarriere, die er sich als Comic-zeichnender und Homevideo-drehender Jugendlicher ausgemalt hatte, schien mehr zu erfordern als das, was er bisher investierte. Im ersten Studienjahr lernt er die wichtigste Lektion: „Da habe ich erst kapiert, was es überhaupt bedeutet, eine persönliche Geschichte zu erzählen“, sagt Oliver, „was es heißt, etwas Echtes entstehen zu lassen.“ Auf der Suche nach der "Antwort" sei er immer noch. „Etwa zweimal im Jahr denke ich mir: 'Das ist sie, du hast die Wahrheit gefunden.' – aber da das eben zweimal im Jahr passiert, werde ich wohl ewig danach suchen.“

Die Filmbranche ist für Oliver „unheimlich uninspirierend.“ Auf Stammtischen und After-Partys wird man ihn nicht antreffen. Ihm ist es wichtig, auf dem Teppich zu bleiben; er hat neben seinem Wohnsitz Berlin eine Zweitwohnung in Würzburg. Seine Freunde sind „ganz normale Leute“, manche von ihnen verdingen sich als Zeitarbeiter. Wenn er abends ins Kino geht, will er Filme durch die Brille eines Konsumenten und nicht durch die eines Filmemachers sehen. Nicht „zu Tode analysieren“ und philosophieren. Überhaupt, findet er, sei das ein Problem der hiesigen Filmlandschaft: die Diskrepanz zwischen Rezeption und Reflexion. Die stundenlangen Diskussionen über Filme, die es einfach nicht schaffen, eine Aussage zu treffen, regen Oliver auf. Ein Film muss, während man ihn sieht, seine Kraft entfalten, findet er. Und für sich alleine stehen können.

Für eine Lokalzeitung hat Oliver jahrelang Kinokritiken geschrieben. Eine gute Schule. Als Vorbilder nennt er Regisseure, die es schaffen, Erkenntnisse zu immer wiederkehrenden Themen zu finden. Und in ihrer Arbeit bescheiden sind.

Allüren kann Oliver auch bei Schauspielern nicht gebrauchen: „Die sollen sich ihren Kaffee gefälligst selbst holen. Manchmal muss man Menschen dazu erziehen, hart zu arbeiten. Sonst werden sie langweilig.“ Seine Position als Regisseur setzt er gerne ein, um Nachwuchsschauspielern eine Chance zu geben. Jemanden zu entdecken, macht ihm großen Spaß – und er scheint ein gutes Gespür dafür zu haben: Die vier Hauptdarsteller seines Debütfilms BIS AUFS BLUT Jacob Matschenz, Burak Yigit, Aylin Tezel und Liv Lisa Fries gewannen diverse Preise und machten alle Karriere. Ruby O. Fee, die damals 16-jährige Hauptdarstellerin seines „Tatort“ HAPPY BIRTHDAY, SARAH, wurde für ihre Rolle u.a. mit dem Jupiter Award als beste deutsche TV-Darstellerin ausgezeichnet. Auch in seinem neuen Kinofilm DIE VIERHÄNDIGE debütiert die bislang nur auf der Bühne erfolgreiche Frida Lovisa Hamann in einer Hauptrolle. Sich auf dem Regiestuhl auszuruhen, käme Oliver nicht in den Sinn. Er schreibt das Drehbuch zu vielen seiner Filme selbst, übernimmt das Casting, probt und überprüft die Dialoge mit seinen Darstellern und springt als Anspielpartner ein. Mit anderen Alumni der Filmakademie hat Oliver nur gute Erfahrungen gemacht. Auch wenn sie, wie er zugibt, erst nach dem Studium zueinander gefunden haben.

Nach erfolgreichen Festivalauftritten soll DIE VIERHÄNDIGE Ende November 2017 in die deutschen Kinos kommen. Parallel dazu tobt sich Oliver an einer neuen Serie über die Finanzbranche aus – als Head-Autor. Er genießt die Chance, sie innerhalb der starren Strukturen zu erzählen, die echten Geschichten, die stärker mit seiner Person verknüpft sind, als die Plots es vermuten lassen. Und weil er nicht nur Kritiker, sondern auch Realist ist, weiß Oliver: „An den Strukturen wird sich so schnell nichts ändern.“ Er ist dankbar dafür, seinen Platz im Film gefunden zu haben: „Ich weiß, dass ich unglaubliches Glück habe, mir die Projekte aussuchen zu können. Das kann leider nicht jeder Absolvent von sich sagen.“ Oliver lehne „das Meiste ab“, sagt er noch. „Meine Angst vor dem Scheitern ist einfach zu groß. Wenn schon scheitern, dann wenigstens mit Herzblut.“

Alumni-Profil

Autorin: Ana-Marija Bilandzija