Andreas Hykade, Absolvent Animation (1996)

„Wenn man immer an den Gral denkt, dann findet man die Originalität nie.“

Ich trete in das lichtdurchflutete Büro des Andreas Hykade im zweiten Stock des Animationsinstitutes. Am Eingang stehen Dutzende seiner Skizzenbücher, seine Hand scheint nie zu ruhen. Immer wenn ich ihn über den Campus der Hochschule schreiten sehe, den Tanzboden unserer Diplomfeiern zum Beben bringend oder durch die heiligen Hallen des Trickfilmfestivals in Stuttgart flanierend, immer in einem modischen Jackett, einen Schal umgeschlungen, und sein Kopf mit einem Hut bedeckt, scheint er vor Ideen zu pulsieren. Er stürzt sich ins Leben, genießt die Momente, wirkt aber manchmal auch abwesend, in Gedanken versunken. Auch, wie ich von ihm erfahre, um Inspirationen zu finden.

Andreas Hykade begann sein Studium vor 25 Jahren im Gründungsjahr der Filmakademie Baden-Württemberg. Vorher hat er gerade noch die Blütezeit der Trickfilmklasse von Albrecht Ade an der Kunstakademie Stuttgart mitbekommen. „Was dort als Keim bereits existierte, ging später als Blüte in der Filmakademie auf. Weil es an der Kunstakademie irgendwann mal zu eng war, fragte Albrecht Ade in die Runde: ‚Also ich geh’ da jetzt rüber nach Ludwigsburg, wer kommt mit?’“ Das war 1991, und alle sind mitgekommen und direkt ins Projektstudium eingestiegen. Da saß Andreas nun Jahr um Jahr, stundenlang vor seinem Zeichentisch in einer kleinen, unscheinbaren Raumecke im Gebäude Gewächshausweg, ganz oben unterm Dach, ohne zu ahnen, dass er 25 Jahre später Leiter des 2002 gegründeten Animationsinstitutes werden würde, mit größeren Räumen, viel mehr Studierenden und modernerer Technik. Für einen Individualisten und Künstler wie Hykade eine Herausforderung, aber sein neuer Schaffensraum wirkt auch irgendwie wie sein Wohnzimmer: gemütlich, heimisch, mit großer Vinylsammlung. Der Plattenteller dreht sich noch, darunter reihen sich Schätze von David Bowie über Lou Reed bis Bob Dylan, passend zu seinem Geburtsjahr 1968. Ganz stolz ist er auf seine Bananenpflanze, die hier wächst, obwohl er doch noch nie einen grünen Daumen hatte! Ein Geschenk zu seinem Einstand, bestimmt ein gutes Zeichen. Zwischen seiner Lehrzeit und heutigen Mentorenrolle ist viel Bewegendes geschehen. 

Bob Dylan, die 70er Jahre, Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll und eine weit entfernte, alternative Dorfdisko versus der oberbayrische Wallfahrtsort Altötting, der Ort seiner Kindheit und Jugend. Seinen künstlerischen Werdegang beschreibt Andreas Hykade als eine Art Kampf gegen die schier unbesiegbare bayrische Ignoranz, der nur mit den Mitteln der Kunst zu begegnen war. Deshalb verarbeitet er viele seiner Erfahrungen aus Altötting in seinen Zeichentrickfilmen, z.B. in seinem aktuellen Film über die dortige Gnadenkapelle. Deren Votivtafeln zeugen von unterschiedlichsten menschlichen Schicksalen, die ihn immer wieder inspirieren. Das war die einzige Kunstform, die ihm in jungen Jahren in Oberbayern angeboten wurde. „Der einfache Mensch mit seinen beschränkten Fähigkeiten malt das Bild aus all seinen Erfahrungen und hängt es da auf. So wird das Private Teil des Kollektiven.“

In seinem Diplomfilm WIR LEBTEN IM GRAS greift er Persönliches auf. Da kämpft der Vater gegen seinen Hodenkrebs. Er begann den Film intuitiv und, wie er sagt, recht planlos. 22.000 Zeichnungen und drei Jahre später hat er ihn damals in seiner Ecke im Gewächshausweg den Producern gezeigt. Weitere 17,5 Minuten später „haben die Produzenten mich alle angeschaut und gedacht, da ist einer, der hat nicht alle Tassen im Schrank. Die haben sich wortlos umgedreht und sind gegangen.“ Doch einer kam am nächsten Tag zurück, Michael Jungfleisch. Und der half ihm nicht nur, den Film fertigzustellen, sondern reichte ihn auch beim Deutschen Kurzfilmpreis ein. Die Antwort kam prompt: 2,48 Minuten zu lang! „Ich war erbost“, sagt Hykade. „Das künstlerische Werk beschneiden!“ Doch sein Producer besorgte eine Cutterin und warf ihn aus dem Raum. Nach ein paar Stunden war der Film auf 14,58 Minuten gekürzt. „Ich bin wieder rein und fand’s fantastisch. Da sieht man mal wieder die ganze Sache mit der Hybris und dem Künstler und seinem Werk! Alles Bullshit. Wäre die Cutterin ganz am Anfang dazugekommen, hätte ich mir viel Arbeit erspart.“ Heute kann er darüber lachen und erklärt seinen Studierenden, dass es so viele unterschiedliche Wege gibt, etwas zu meistern, wie es Menschen gibt.

Der zweite Realitätscheck kam durch seine Distanzierung von Walt Disney. Ursprünglich wollte er die Trickfilmkunst lernen, um zu Disney zu gehen, doch dann kam er in Kontakt mit Animationsfilmen für Erwachsene, der „Independent Animation“, wie z.B. Filme der Quay Brothers oder Jonathan Hodgson. Für ihn war das eine bisher unbekannte, hoch interessante Ausdrucksform. Ein Gegenentwurf zu Disney. Eine Begegnung mit einer Disney-Vertreterin beim Cartoon Forum in Toulouse gab ihm den Rest. Sein Pitch für seine Kinderserie TOM UND DAS ERDBEERMARMELADEBROT MIT HONIG lief super, „die Stimmung war gut, und plötzlich ruft einer von hinten mit französischem Akzent: ‚Hello. We are from Disney France and we love your series, it’s so fun, so gorgeous!’ Dann fing diese Frau von Disney, ein Eisengel, plötzlich an, mir aufzuzählen, was ich ändern müsse, eine lange Liste. Der Mund der Mutter sehe aus wie eine Narbe, das wäre ‚scary.’ Und die Brustwarzenpiercings müssen weg!“ Heute schmunzelt er über diese Szene, die seine Entscheidung, ein unabhängiger Künstler zu werden, endgültig festigte. Denn für Andreas macht Tom ohne die Piercings keinen Sinn: “Der größte Lump kann ankommen, und Tom nimmt ihn erstmal, wie er ist, ist neugierig. Das ist das Konzept. Tom glaubt an das, was ist, an das Hier und Jetzt, an die weite Community. Wie in dem Ramones-Song: We´re a happy family.“

Das Versprechen der „Independent Animation“ war der individuelle Ausdruck, und den fand Andreas Hykade an der Filmakademie. Toll an Albrecht Ade sei gewesen, dass er niemandem seinen eigenen Stil aufgedrückt habe, Learning by Doing eben. Nach dem Motto: „Macht, macht! Wir schreien dann schon, wenn’s scheiße ist.“ Er selbst hat an der Filmakademie seine künstlerische Handschrift gefunden, in einem ganz einfachen Stil, „eine Art von Strichmännchen.“

Heute sagt er den Studierenden: „Geht den intensiven Weg, das ist immer besser. Ich rate zur Intensität und Relevanz, sowohl für die Komödie als auch für die Tragödie und alles zwischendrin. Wenn es persönlich nicht relevant ist, wie soll man den Prozess durchhalten? Und wenn es gesellschaftlich nicht relevant ist, wie soll man es kommunizieren?“ Er glaubt fest daran: „Aus einem Tropfen wird irgendwann ein Bach. Das ist ein permanenter Prozess, ein Muskel, den man trainieren kann.“

Die interessantesten Dinge kämen ohnehin von außen, sagt Andreas Hykade. „Wenn man immer an den Gral denkt, dann findet man die Originalität nie.“ Als kritisch empfand er jahrelang den Umgang der Filmakademie-Studierenden mit der Verletzlichkeit. Denn sie ist für ihn neben dem Handwerk das Allerwichtigste. Weil da die Empathie sitze. „Als ich hier als Lehrer angefangen habe, hatte ich den Eindruck, dass alle, die hier verletzlich sind, unter die Räder kommen, von wenigen asozialen Darwinisten überrollt werden. Die Verletzlichen brauchen länger als die anderen, aber sie besitzen das, was für einen intensiven Film wichtig ist.“ Er selbst möchte nicht offiziell verraten, wie lange er an seinem Diplomfilm gearbeitet hat. Nur so viel: Es würde seine Vorbildfunktion schmälern.

Alumni-Profil

Autorin: Julia Urban