AUF EINEN KAFFEE MIT... JÖRG LEMBERG, ABSOLVENT FILMMUSIK/SOUNDDESIGN (1995)

Jörg Lemberg machte sein Diplom im Jahr 1998 im Studiengang Filmmusik und Sounddesign. Seitdem komponierte und produzierte er die Musik zu weit über 80 Spielfilmen, überwiegend für das deutsche Fernsehen.

 

Lieber Jörg, wie kamst du zur Musik?

Am Tag meiner Geburt hat mein Vater unser Klavier verkauft, um Platz in der engen Wohnung zu schaffen. Was treibt mich an? Ich wollte schon immer mein Leben lang Musik machen – vielleicht, weil ich es mir zur Lebensaufgabe gemacht habe, die Musik ins Haus zurückzuholen. (lacht)

Eine Initialzündung erlebte ich als Kind. Mein Opa ist zur See gefahren und immer, wenn er zu Besuch kam, saß ich als kleiner Junge in der Ecke und habe mit dem Akkordeon Seemannslieder für die ganze Familie gespielt. Da kam ich zum ersten Mal mit „musikalischer Untermalung“ in Berührung, in diesem Fall mit der musikalischen Untermalung eines Festes. Das war ein Schlüsselerlebnis für mich.

Nach der Schule habe ich – zunächst aus einer gewissen Ratlosigkeit heraus – Musik auf Lehramt in Essen studiert und mich währenddessen um einen Studienplatz der Komposition in Leipzig und einen Platz für Filmmusik an der Filmakademie in Ludwigsburg beworben. Von beiden erhielt ich eine Zusage und hatte dann zu wählen zwischen der „elitären“ Musik à la Pierre Boulez bzw. Karlheinz Stockhausen und der Musik, die eine Handlung untermalt und dabei Kontakt zu einem viel breiteren Publikum aufnimmt, immer mit dem Ziel, emotional zu berühren – also Filmmusik.

 

Warum hast du dich für das Komponieren von Filmmusik entschieden?

Das Schöne an der Musik ist, wenn sie für Empathie zwischen Menschen sorgt. Das will Filmmusik unbedingt. Die akademische Musik der zeitgenössischen Hochschulklassen habe ich dagegen allzu oft als Monologe wahrgenommen.

 

Welche Erlebnisse verbindest du mit deiner Studienzeit in Ludwigsburg?

Als ich an der Filmakademie ankam, hatte ich sofort das Gefühl: Das Studentenleben ist vorbei, hier wird rund um die Uhr gearbeitet. Natürlich gab es ein Campusleben, aber dennoch begegnete man Kommilitonen häufig nur auf Teamfeiern und jeder war damit immer in der Blase seines jeweiligen Projekts gefangen. Ein akademischer Diskurs darüber hinaus und ein Austausch aus filmkünstlerischer Sicht hat leider nur wenig stattgefunden. Gleichzeitig boten die Projekte, für die ich während meines Studiums die Musik komponierte, mir alle Möglichkeiten, mich auszuprobieren. Auf diesem „kreativen Spielplatz“ der Filmakademie hat jeder und jede Studierende die Chance, das Genre zu finden, das ihm oder ihr am meisten liegt. In meinem Fall war dies vor allem der literarische, mystische, manchmal auch der raffinierte Film. Inzwischen habe ich aber auch jede Menge Romantic Comedies gemacht.

 

Wie gelang dir der Sprung vom Studium in die Filmbranche?

Für mein Abschlussprojekt habe ich 1998 vom Südwestrundfunk den Rolf-Hans Müller Preis für Filmmusik erhalten und auf der Verleihung den Regisseur Hans-Christoph Blumenberg kennengelernt. Er war zum damaligen Zeitpunkt noch auf der Suche nach einem Filmkomponisten für seinen nächsten Film TATORT: BIENZLE UND DER ZUCKERBÄCKER (1999) und wir kamen ins Gespräch. Der Film war mein Einstieg ins Filmmusikgeschäft.

Auch Nico Hoffmann hat mir stets als Mentor zur Seite gestanden, Kontakte hergestellt und mich auch hinter den Kulissen weiterempfohlen. Das war enorm hilfreich.

Last but not least kenne ich schon seit meiner Studienzeit an der Aka die Regisseurin Claudia Garde, mit der ich sehr oft zusammengearbeitet habe. Ohne sie wäre ich kein Filmkomponist geworden! Sie hat mir damals wirklich dabei geholfen, mich auf dem Markt zu etablieren, wofür ich ihr sehr dankbar bin.

 

Hattest du dir deinen Berufseinstieg so vorgestellt: mit einem TATORT direkt in die Branche zu starten?

Nein, ganz bestimmt nicht. Im Gegenteil war ich nach meinem Diplom so skeptisch gegenüber der Freiberuflichkeit als Komponist, dass ich einen Vier-Monats-Vertrag zum Austragen von Briefen bei der Post in Asperg unterschrieben hatte. Das gefiel mir eigentlich auch ganz gut, doch schon nach zwei Wochen musste ich wieder aufhören, weil ich durch meine neuen Filmmusik-Projekte so gut ausgelastet war. Jedenfalls bin ich seitdem nie wieder so früh aufgestanden (lacht).

 

Für welche Filme hast du besonders gerne die Musik komponiert?

Die Arbeit für den Kinofilm DIPLOMATIE (2014, Regie: Volker Schlöndorff) war ein besonderes Erlebnis. So hatte ich mir den Traumalltag eines Filmkomponisten immer vorgestellt: Ich lebte in Paris, komponierte in meinem Hotelzimmer und brachte anschließend mit dem Taxi die neue Musik kurz rüber in den Schnittraum. Man sprach über die Szene, vereinbarte Veränderungen und ich komponierte weiter. Zwischendurch spazierten Volker Schlöndorff und ich mal über den Montmartre, unterhielten uns und gingen dann wieder an die Arbeit. Dieser Austausch über Sinn und Intention des Filmschaffens geht im Fernsehgeschäft leider allzu oft unter.

Ein weiteres Highlight war für mich sicherlich der Krimi DER TOTE IM WATT (2013, Regie: Maris Pfeiffer). Die Musik konnte in diesem Film viel Raum einnehmen, auch dadurch, dass die Schauspieler an manchen Stellen so taten, als würden sie selbst diese Musik spielen. Es ist unglaublich, wie viele Publikumszuschriften und positive Rückmeldungen ich zu diesem Film und meiner Musik darin bekommen habe. Die Filmmusik wurde daraufhin auch als Notenmaterial verlegt und wird bis heute regelmäßig in Deutschland live aufgeführt. Diese tolle Resonanz hat mich sehr gefreut.

 

Hattest du manchmal mit Zweifeln zu kämpfen?

Zweifel gehören bis heute fest zu meiner Arbeit, in jedem Projekt zweimal: Das erste Mal, wenn ich die Musik zu einem Film komponiere, und das zweite Mal, wenn ich sie bei der Ausstrahlung höre (lacht). Diese Zweifel lernt man kennen und zu akzeptieren. Ich sehe sie als meine „Qualitätsmanager“, die ständig kritisch hinterfragen, ob meine Komposition wirklich schon reif zur Veröffentlichung ist.

 

Wie verbringst du deine Freizeit, um den Kopf von der Arbeit zu lösen und mal abzuschalten?

Das gibt es bei mir nicht, aber ich wünschte, es gäbe es. Mich umgibt immer die „Blase“ des jeweiligen Projekts, die erst platzt, wenn ich die fertige Musik abgegeben habe. Natürlich gibt es Rituale, um für ein paar Stunden Pause zu machen oder Abstand zu gewinnen, aber ein Feierabend ist bei mir nicht möglich. Was die berühmte „Work-Life-Balance“ angeht, ist das vermutlich ein Fluch, aber es gehört einfach zu den Eigenheiten eines kreativen Berufs dazu. Oder wie man so schön sagt: Die Musik ist eine grausame Geliebte. Aber sie kann dafür auch sehr glücklich machen.

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DAS INTERVIEW FÜHRTE: Meike Katrin Stein