Stefan Schaller, Absolvent Szenischer Film

„Man muss ein flexibler Sturkopf sein!“

Stefan Schaller und ich sitzen in einem kleinen Berliner Café. Ich frage ihn, ob und auf welche Art Regie- und Drehbuchstudierende an der Filmakademie zusammenarbeiten sollten. Eine immer wieder aktuelle Thematik: „Ich finde, ein Studium ist dazu da, sich auszuprobieren. Für einige Regiestudenten passt es besser, alleine zu schreiben, andere arbeiten lieber mit einem Autoren, der nächste kann bzw. will überhaupt nicht schreiben. Da muss ein entspannter Weg gefunden werden, was nur geht, wenn Zeit und Raum da ist, sich gegenseitig zu finden. Ein Regie-Autoren-Verhältnis lebt von gegenseitigem Vertrauen, von einem gleichwertigen, kreativen Miteinander. Abgesehen davon finde ich es gut, dass sich die Vorstellung vom Regisseur, der seine Filme selbst schreiben muss, langsam etwas auflöst.“

Schaller denkt über jede der Fragen, die ich ihm stelle, so lange nach, bis er eine ehrliche Antwort gefunden hat, und lässt mich dabei auch am Findungsprozess teilhaben, unabhängig davon, ob wir über seine ambivalente Beziehung zu München reden („Diese Stadt wird immer elitärer, was mich extrem stört. Dennoch ist es meine Heimat.“) oder die Frage, was denn einen guten Regisseur ausmache („Aufrichtigkeit im Umgang mit dem jeweiligen Thema. Neugier und Beharrlichkeit!“).

Er sucht nach dem Kern. Das ist auch ein entscheidender Punkt in Schallers Inszenierungsarbeit. Es geht ihm darum, mit seinen Schauspielern aus einer Szene etwas herauszuholen, etwas zum Leben zu erwecken, das echt ist, das man sich vorher so nicht hätte vorstellen können. Dies unter einem gewissen Druck zu erzeugen, der beim Filmemachen allgegenwärtig ist, übt einen weiteren Reiz auf ihn aus.

Stefan Schaller haben schon immer „klassische“ Dramen interessiert. Besonders, wenn diese sehr „hermetisch“ erzählt sind mit Figuren, die Außenseiter ihrer Welten sind bzw. die eine gewisse schmerzhafte Unsicherheit in sich tragen, welche sie mit ihrer Außenwelt nicht in Einklang bekommen. Wie in dem Film EINER FLOG ÜBER DAS KUCKUCKSNEST, den er schon als Jugendlicher bestimmt 50 Mal gesehen hat. Oder so, wie in George Orwells Roman „Tage in Burma“, den er las, als er sich 2005 an der Filmakademie bewarb.

Stefan Schaller sog schon früh eine Unmenge an Filmen auf. Er hatte nach dem Abitur den Wunsch, Regie zu studieren, fokussierte sich jedoch nicht sogleich darauf. Auch weil er ein großes Interesse an Politik und Journalismus hatte. Als er dann die Chance bekam, in Berlin Politik zu studieren, schlug er sie dennoch aus, weil er ahnte, dass dies der Schlussstrich unter seine Filmambitionen wäre. Stattdessen reiste er durch Mittelamerika, zog dann nach Berlin und bewarb sich an den Filmhochschulen in München und Ludwigsburg.

An die Filmakademie zu gehen, war genau das Richtige für ihn zum damaligen Zeitpunkt. Da war ein Ort voller Gleichgesinnter, eine Spielfläche, um sich auszuprobieren, eine Schule, die dafür da ist, die Studierenden in ihrer Kreativität zu unterstützen. Das war aufregend und außergewöhnlich.

Stefan Schaller hatte eine gute Zeit an der Akademie. Er erinnert sich natürlich auch an den hohen Druck. Vor allem aber an den inspirierenden Austausch, der vorherrschte - die geballte Kreativität der unterschiedlichen Filmemacher auf einem Campus. Es war eine sehr intensive Zeit. Mit einer positiven Besessenheit arbeiteten alle an ihren Filmprojekten und für den Moment bedeuteten diese Filme die Welt für einen. „Ich halte es für einen Vorteil, in einer Kleinstadt mit diesem Campus-Charakter studiert zu haben. Man war extrem fokussiert.“ Nur hätte er sich manchmal jemanden gewünscht, der als Ansprechpartner für die Regisseure über das gesamte Studium hinweg fungiert.

Bei der Wahl von Schallers Themen fällt auf, dass sie oft einen großen gesellschaftsrelevanten Wert und eine hohe Aktualität haben. Diese Themen suche er gar nicht bewusst aus, sagt er. Vielmehr reagiere er auf die Sachen, die ihn umgeben. Das war bei BÖSE BILDER der Fall, mit dem er 2008 beim Max Ophüls Preis die Sektion der mittellangen Filme gewann, als auch bei seinem Diplomfilm 5 JAHRE LEBEN über den unschuldig in Guantanamo inhaftierten Murat Kurnaz sowie Schallers neuestem Film AUS DER HAUT, den er für die ARD inszenierte und der auf dem diesjährigen Münchener Filmfest Premiere feierte.

„Die Bindung zu einer Geschichte passiert instinktiv, meist über die Charaktere.“ Stefan Schaller will offen bleiben, das eigene Spektrum erweitern. Dennoch schaut er sehr genau, ob ein Stoff zu ihm passt. Er selbst hat dieses Jahr schon Produktionen abgesagt, weil er den Punkt, an den er andocken konnte, nicht fand. „Das ist vielleicht das Schwerste an dem Beruf: die Balance zu finden, zwischen Arbeit und kreativen Pausen, Input tanken, die Dinge einerseits mit Abstand zu betrachten und andererseits mit ganzem Herzen bei der Sache zu sein. Man muss in gewissem Sinne ein Sturkopf mit starkem Willen sein und trotzdem immer flexibel bleiben“.

Stefan Schaller schreibt auch selbst, dies war schon während des Studiums eine extreme Bereicherung für ihn. Am liebsten zusammen in einem Team. „Schreiben ist verdammt kompliziert und eine sehr einsame Tätigkeit. Ich glaube, deswegen fällt mir auf Dauer am Schreibtisch immer die Decke auf den Kopf. Außerdem bin ich gern unter Leuten. Das ist wiederum das Tolle am Set, dass man umgeben ist von so vielen kreativen Menschen.“

Alumni-Profil

Autorin: Katja Ginnow

Foto Stefan Schaller: © Sergej Moya